Interview mit Dr. med. univ. Dominik Klug, österreichischer Gesundheitscoach, Autor und Speaker.
Was sind gesunde Zucker und gibt es die überhaupt? Wie wirken verschiedene Zuckerarten auf den Körper? Was sind die Risiken des Zucker-Überkonsums? Welche Rolle spielt der Blutzuckerspiegel für die Gesundheit? Was kann ich für einen gesunden Blutzuckerspiegel tun?
Nach wie vor ist der Konsum von Zucker ein gesellschaftlich unterschätztes Risiko für die Gesundheit. Überkonsum birgt das Risiko zur Insulinresistenz, die wiederum weitere teils schwere und chronische Erkrankungen mit sich bringen kann, u.a. Diabetes, das Metabolische Syndrom, Adipositas, Endometriose, Myome, PCOS und zahlreiche weitere entzündliche Erkrankungen. Tigovit-Gründerin Tanja Hohenester hat mit dem Gesundheitsexperten Dr. med. univ. Dominik Klug gesprochen, um wichtigen Fragen zum Thema Zuckerarten, Insulin, Diabetes und Co. auf den Grund zu gehen. (Link Video)
Ein unumgängliches Thema, das zur langfristigen Optimierung der Gesundheit sowie zur Vorbeugung von Diabetes und Co. angegangen werden muss, ist der (richtige) Zuckerkonsum und ein gesunder, möglichst konstanter Blutzuckerspiegel. Der Zuckerkonsum in der modernen, westlichen Gesellschaft ist viel zu hoch, Tendenz wachsend. Zucker ist nicht nur in offensichtlich zuckerhaltigen Nahrungsmitteln wie Softdrinks, Weißmehlprodukten, Süßigkeiten, Kuchen und Schokolade enthalten, sondern auch versteckt in zahlreichen Produkten im Supermarkt, in denen eigentlich kein Zucker zu erwarten ist.
Früher war alles besser – Kaum Zucker in der Steinzeit
Zucker war nicht immer da, schon gar nicht in der raffinierten Form des Industriezuckers wie heute. „In der Vergangenheit hatten unsere Vorfahren zwar Zugang zu Zucker, jedoch nur in Form von in Früchten enthaltenem Fruchtzucker. Zudem war die Verfügbarkeit aus mehreren Gründen natürlich begrenzt, während heute ein dramatisches Überangebot herrscht.“, erklärt der Experte.
Zum einen waren die Früchte nur saisonal verfügbar, nicht über das ganze Jahr hinweg in großen Mengen. Zum anderen machte erst das über Jahre erlernte trichromatische Sehen überhaupt möglich, an die nährstoffreiche Zuckerquelle heranzukommen und die Frucht als reif zu erkennen, wie beispielsweise rote Beeren vor grünem Hintergrund.
Daraufhin erfolgte in der Vergangenheit die Belohnung durch den eigenen Körper. Das süße, nährstoffreiche Geschmackserlebnis löst im Körper die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin aus, das auch für Suchtgefühle zuständig ist.
Bis vor wenigen hundert Jahren war jedoch der klassische Zucker quasi nicht existent, weshalb sich der Körper bis heute noch nicht an diesen neuen Zucker adaptiert hat.
Was sind „klassische“ Zucker?
Unter klassische Zucker fallen laut Dr. Klug unter anderem folgende Zuckerarten:
- Weißer Zucker
- Brauner Zucker
- Rohrzucker
- Kokosblütenzucker
Hier rät Dr. Klug zur Vorsicht vor irreführenden Marketingversprechen. Entgegen vieler Werbeaussagen oder Verpackungen, die Kokosblütenzucker als vermeintlich gesunden bzw. keinen richtigen Zucker darstellen, löst diese Zuckerart jedoch exakt dieselbe Reaktion auf die enthaltene Glukose aus, wie weißer oder brauner Zucker, auch wenn Kokosblütenzucker im Gegensatz zu Industriezucker einen niedrigeren glykämischen Index sowie etwas mehr Nährstoffe enthält. „Der Bauchspeicheldrüse ist die Zuckerart letztendlich egal. Sie reagiert immer mit einer Insulinausschüttung“, resümiert der Gesundheitscoach. „Das Hormon Insulin sorgt dafür, dass der Zucker aus dem Blut in die Zellen aufgenommen wird.“
Der Stoffwechselweg des einfachen Fruchtzuckers Fruktose ist zwar insulinunabhängig, es gibt jedoch auch Menschen, die auf ein Übermaß von Fruktose reagieren und starken Blutzuckerschwankungen ausgesetzt sind. Zuviel Obst und Trockenfrüchte können also ebenfalls Schädigungen mit sich bringen.
Weitere Zuckerarten sind Galaktose und Tagatose. Während Galaktose auch in die Zelle aufgenommen und in Glukose umgewandelt wird, ist Tagatose ist ein Spezialzucker und wird insulinunabhängig verstoffwechselt.
Fazit: Die Menge an konsumiertem Zucker ist im Vergleich zu vor wenigen 100 Jahren dramatisch gestiegen. Waren es früher „ab und an eine Handvoll Beeren“ so ist es heute „ein Smoothie mit drei Packungen Beeren, sieben Bananen und 20 Äpfeln“, veranschaulicht Dr. Klug. Unser Körper ist bis heute nicht an diesen Überkonsum an Zucker angepasst und reagiert mit starken Blutzuckerschwankungen und dessen Folgeerscheinungen.
Ein Überkonsum von Zucker kann unser System schädigen
Zucker ist eine toxische Substanz
In einem Experiment wurde weißer Zucker als verdünnte Lösung in einen Muskel gespritzt: der Muskel stirbt. Zucker als reiner Stoff ist also Gift für das Gewebe.
Die Dosis macht das Gift
Aber auch die per se gesündere Fruktose kann in hohen Dosen giftig sein. „Obst ist gesund“ stimmt also nur bedingt. Zwar ist Fruktose in Obst kombiniert mit gesundheitsförderlichen Pflanzenstoffen, Ballaststoffen und Vitamine. Auch ein Fruktose-Übermaß kann jedoch erwiesenermaßen zu Schädigungen führen. Zum einen wird zu viel Zucker in Form von Fett gespeichert, was zu Lebererkrankungen führen kann. Zum anderen wird der Darm beeinträchtigt, was die Energieproduktion im Körper reduziert.
Was können Gründe für einen gestörten Zuckerstoffwechsel sein?
Insulinresistenz
Dies geschieht bei einem chronischen Überkonsum von Zucker, egal welcher Art. Der Körper verliert die Fähigkeit, den aufgenommenen Zucker in die Zelle aufzunehmen. Ein Beispiel hierfür ist Diabetes Typ II. Die Bauchspeicheldrüse produziert zwar noch Insulin, sodass die Glukose theoretisch noch in die Zelle kommen kann – die Zelle will aber nicht mehr und macht sich insulinresistent. Die Tore für den Zucker werden also geschlossen, da die Zelle übersättigt ist.
Keine körpereigene Insulin-Produktion
Dies trifft auf Betroffene der Autoimmunerkrankung Diabetes Typ I zu. Die beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse werden aufgrund einer körpereigenen Abwehrreaktion zerstört, weshalb kein Insulin mehr produziert werden kann. Ohne Insulin kann kein Zucker in die Zellen aufgenommen werden, weshalb Insulin gespritzt werden muss.
Mögliche Folgen von Insulinsensitivität
Für folgende Erkrankungen ist es ganz besonders wichtig, den Blutzuckerspiegel auch über die Ernährung zu kontrollieren und wieder auf ein gesundes Maß zu bringen.
- Frauengesundheit – PCOS: Insulinresistenz in den Eierstöcken
- Fettleber: Insulinresistenz der Leber
- Multiple Sklerose: Insulinsensitivität im Gehirn
Zucker fördert Entzündungen, die Wurzel aller Krankheiten
Der Überkonsum von Zucker ist zudem ein Verstärker von Entzündungen und entzündlichen Reaktionen im Körper. Der Biohacker fasst zusammen: „Wenn wir viel Zucker einnehmen und unseren Körper konstant entzünden, also Öl ins Feuer gießen, bietet dies die Grundlage für zahlreiche teils chronische Krankheiten inklusive Zuckerkrankheit, systemische Erkrankungen wie Krebs, aber auch dementielle Erkrankungen wie Alzheimer.“ Menschen, die also sich grundsätzlich sehr reich an hochwertigen Antioxidantien-Quellen wie grünem Tee mit dem speziellen Catechin EGCG ernähren, haben zudem einen weiteren Vorteil: die Antioxidantien wirken freien Radikalen entgegen, die bei entzündlichen Prozessen entstehen.
Wie erfasse ich meinen Blutzuckerspiegel?
Anstelle vorgefertigte und allgemeingültige Ernährungspläne zu befolgen, setzt Dr. Klug auf Hilfe zur Selbsthilfe seiner PatientInnen. Ihm ist es wichtig, das Handwerkzeug zum besseren Kennenlernen des eigenen Körpers bereitzustellen und setzt dabei ganz besonders auf das Glucose-Monitoring. Nur so ist es möglich, selbst zu erfahren, wie der Körper auf die Zufuhr bestimmter Nahrungsmittel reagiert – das kann individuell sehr verschieden sein.
Blutzuckerspiegel-Überwachung durch konstantes Glukose-Monitoring
Es wird eine kleine Nadel in den Trizeps eingesetzt und mit einer App verbunden, die dann den Blutzucker in Echtzeit kontrolliert. Man kann mit bestimmten Lebensmitteln experimentieren und erkennen, wie sie sich auf den Blutzucker auswirken. „Das ist zum Teil sehr individuell und überraschend. Manche Menschen können beispielsweise Reis sehr gut verstoffwechseln, während bei anderen der Blutzuckerwert bei Reiskonsum weit über 180 hinausschießt und dort über Stunden verweilt.“ Bei anderen Nahrungsmitteln wie Kartoffeln, Süßkartoffeln, Haferflocken oder Obst kann es sich genauso individuell unterschiedlich verhalten.
Fazit: Es gibt nicht DIE gesunde Ernährung laut Dr. Dominik Klug, sondern lediglich eine gesunde Ernährung für jede/n. Was das genau ist, muss jeder selbst herausfinden. Das geht nur, wenn man mindestens einmal seinen Blutzuckerspiegel überwacht und Lebensmittel ausprobiert und wie der Körper darauf reagiert. Aussagen wie „Nüsse sind gesund“ oder „Brauner Reis ist gesund“ werden so absolut hinfällig, denn was für den einen Organismus leicht verstoffwechselbar ist, wird für den anderen nicht selten zur Qual.
Makrotiming – die Reihenfolge beim Essen beeinflusst den Blutzuckerspiegel
Erst Gemüse, dann Proteine, dann Kohlenhydrate? Oder umgekehrt? Es kann sehr viel bringen, mit dem sogenannten Makrotiming zu experimentieren, als Zuckerarten oder idealen Reihenfolge der Makronährstoffe Fette, Proteine, Kohlenhydrate und Ballaststoffe, um einen möglichst geringen Blutzuckeranstieg zu verursachen – und damit eine geringere Insulinausschüttung.
Laut Dr. Klug kann es sinnvoll sein, zuerst Fettquellen, dann Proteinquellen und dann erst einfache Kohlenhydrate zuzuführen. Fette und Proteine führen zu einer früheren Sättigung, so dass insgesamt weniger Heißhunger auf Kohlenhydrate, also komplexe Zuckerketten, entsteht. Auch das kann aber von Person zu Person unterschiedlich sein und der Experte lädt auch hier zum Experimentieren und Monitoring ein.
Maß halten & den persönlichen „Sweet Spot“ finden
Des Weiteren fügt der Mediziner hinzu: „Das heißt aber mitnichten, dass man nie wieder Zucker oder sonstige Kohlenhydratquellen konsumieren darf. Es geht darum, den ganz individuellen Sweet Spot zu finden. Was vertrage ich und was nicht? Wenn jemand Sport macht, ist ein Stück Schokolade kein Problem bzw. braucht es sogar. Jemand, der einen eher sitzenden Lifestyle hat, ist möglicherweise anfälliger.“ Zudem kommt es darauf an, was die Person neben zuckerhaltigen Nahrungsmitteln zu sich nimmt. Trinkt jemand am Tag viel Grünen Tee oder führt sich viele Bitterstoffe und Polyphenole wie EGCG zu, hat auch dies einen positiven Einfluss auf den Blutzuckerspiegel.
Was beeinflusst den Blutzuckerspiegel positiv?
Bewegung ist das A und O
Bewegung vor dem Essen wie Workout und Sport kann sogar Effekte haben, die viele Stunden anhält. Es wird viel Glukose bei körperlicher Anstrengung verbraucht und somit laut Dominik Klug ein regelrechter Glukose-Sog erzeugt. Nach einem ausgiebigen Sportprogramm, kann es also gleichgültig sein, was zum Mittagessen gegessen wird, „weil unsere Zellen durch das Workout viel mehr Kohlenhydrate aufnehmen können als sonst. Die Zelle saugt den Zucker auf wie ein Schwamm.“ Man kann also durch Sport einen wunderbaren Puffer für mehr Genuss schaffen! Bewegung nach dem Essen ist idealerweise kein intensiver Sport sondern ein einfacher Spaziergang. Je nach Person können 20 bis 30 Minuten entspanntes Gehen schon ausreichen, um eine Stabilisierung des Blutzuckers zu bezwecken.
Nahrungsergänzung zur Stabilisierung des Blutzuckerspiegels
Auch hier weist Dr. Klug darauf hin, dass die Supplemente je nach Person unterschiedlich wirken und damit auch individuell eingestellt werden sollten. Vielfach bewährt haben sich unter anderem folgende:
- Apfelessig
- Berberin
- L-Glutamin
- Omega 3 Fettsäuren
- Vitalpilze Reishi, Cordyceps
Muss ich ganz auf Zucker verzichten?
Gerade Frauen mit Endometriose oder Myomen, aber auch Menschen, die generell abgeschlagen und ermüdet sind, haben oft Probleme mit ihrem Blutzuckerspiegel. Diese Menschen sind oftmals ohnehin schon vielen Verzichten und speziellen Maßnahmen unterworfen. Dr. Klug rät: „Man darf nicht alles verteufeln! Zucker in einer kleinen Fassung bringt uns nicht um, weder fruchtzuckerhaltiges Obst noch Glukose aus anderen Quellen. Es ist immer die Dosis, die zu beachten ist.“
Gerade Menschen mit Beschwerden und Unwohlsein sollten zu allererst einen Hausarzt aufsuchen und schwere Erkrankungen ausschließen bzw. feststellen lassen. Direkt selbst zu mit der optimalen Ernährung zu experimentieren, kostet oft viel Geld, Zeit und Energie. Ideal ist es also, einen Ernährungscoach aufzusuchen, der sowohl bei bestimmten Erkrankungen wie Diabetes, Endometriose etc. zusätzlich begleiten kann durch individuelle Behandlung und Einstellung der Ernährung.
Konstantes Glukose-Monitoring für mehr Lebensqualität
Zur Einstellung des individuellen Blutzuckers durch die Ernährung ist das oben erklärte Glukose-Monitoring unerlässlich. Man muss herausfinden, was der eigene Blutzucker im Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmitteln macht, wenn man Heilungsprozesse fördern oder einfach gesund und kraftvoll alt werden möchte.
Abschließend bleibt zu sagen, dass die Blutzuckerwerte über 100 laut Dr. Klug schon in einen leicht risikohaften Bereich fallen, obwohl viele Ärzte dies noch als „normal bis grenzwertig“ durchwinken. Laut Dominik Klug sollten Werte von Jugendlichen unter 90 sein, während alles über 100 eher ein prädiabetisches Stadium darstellen.
Fazit: Besser Prävention und frühzeitig Selbstfürsorge betreiben mit viel Bewegung, viel frischem Gemüse, gesunden Fetten und Proteinen.
Über Dr. med. univ. Dominik Klug:
Der Mediziner, Gesundheitscoach, Autor und Biohacker unterstützt Menschen in 1:1-Coachings, ihre Gesundheit zu optimieren, ihre gesundheitlichen Ziele zu erreichen und das Maximum aus ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit für Familie, Job und Freizeit herauszuholen. Er möchte Menschen durch seine Expertise helfen, ihren Alltag erfolgreicher zu meistern und langfristig mehr Kraft und Energie zu haben, um mehr Freizeit zu genießen. Er ist Autor von drei Büchern sowie des erfolgreichen Podcasts #dailyMED, der die Hörer mit Tipps zur Gesundheitsoptimierung im Austausch mit Experten versorgt.
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