Interview mit Katharina Maria Burkhardt
Die Hormonexpertin Katharina Burkhardt ist seit über 20 Jahren als Coach, Supervisorin, Hormonforscherin, Lehrende und Autorin tätig. Ihre Faszination gilt den Hormonen und den Zusammenhängen zwischen Lifestyle und Biochemie. Laut ihrer Kollegin ist sie Herz und Hirn des Netzwerks für bioidente Hormone, das sie mit einer Apothekerin, einer Gynäkologin und einer Allgemeinmedizinerin im Oktober 2021 gemeinschaftlich gegründet hat. Die Plattform findet einen hohen Anklang und baut Brücken zwischen Therapeut*innen, Patient*innen und Expert*innen, um all das wertvolle Wissen über Hormone zu teilen. Sie liefert Orientierungshilfen für ÄrztInnen zur bioidenten Hormontherapie in der Praxis sowie auch Infos für InteressentInnen und PatientInnen, um sich im Dschungel der unterschiedlichen Angebote und Therapieformen besser zurechtfinden zu können. Die Nachfrage ist immens, die Tendenz wachsend. Zum Einen erscheinen seit einigen Jahren immer mehr Publikationen und zum Anderen besteht inzwischen ein regelrechter Trend, der unter anderem aus den USA seine Wellen schlägt.
Unterschied zwischen synthetischen Hormonen und bioidenten Hormonen
Das Wort “bioident” ist für einige etwas irreführend. Viele denken an “biologisch”, beispielsweise an Soja oder Yams. Tatsächlich werden jedoch nur die Grundbausteine aus Pflanzen extrahiert, um aus diesen Molekülstrukturen dann Hormone herzustellen. Das Diosgenin, das unter anderem auch im Yams vorliegt, ist Grundgerüst für die Herstellung aller Hormone.
Bioident, bioidentisch, naturidentisch oder auch humanidentisch bedeutet, dass die Strukturformel des jeweiligen Hormons (Gel, Creme, Zäpfchen) exakt identisch ist mit der Struktur der Hormone im menschlichen Körper.
Ein synthetisches Hormon hingegen ist nicht exakt identisch mit den körperlichen Hormonen. Es hat “Füßchen” oder Anhängsel an den chemischen Strukturformeln, die eine teilweise eine andere Wirkung an den entsprechenden Rezeptoren, an welchen die Hormone andocken, blockieren können. Das ist natürlich teilweise auch so gewünscht, beispielsweise bei der hormonellen Verhütung mit der Anti-Baby-Pille. Bioidentische Hormone sollen gerade eben nicht blockieren und besetzen. Bioidente Hormone sollen ihre natürliche Wirkung am Rezeptor entfalten. “Wir arbeiten grundsätzlich nicht mit synthetischen Hormonen in unserem Netzwerk, es sei denn, Gynäkologinnen setzen sie zur Verhütung ein. Die bioidente Hormontherapie klammert die synthetischen Hormone aus.”
Bei welchen Indikationen eignet sich die bioidente Hormontherapie?
Es gibt laut Katharina Burkhardt keine Beschwerden, bei denen Hormone nicht zum Einsatz kommen. Der Einsatz von Hormonen in der Therapie ist bei weitem nicht auf das Klimakterium, die Wechseljahre, oder auch PMS beschränkt. Die bioidente Hormontherapie umfasst ein immenses Potential in zahlreichen Anwendungsgebieten. Logisch. Hormone wirken auf die Stimmung, haben psychische und emotionale Auswirkungen und sie haben einen Einfluss auf die seelische Befindlichkeit. Hormone können eingesetzt werden bei körperlichen Beschwerden wie Osteoporose, Migräne, Gelenkbeschwerden bis hin zu depressiven Verstimmungen. Es darf weiter hinaus gedacht werden über die die klassischen Hitzewallungen der Menopause. “Es gibt nichts, was wir nicht durch Hormone unterstützen können.”
Welche Darreichungsform gibt es?
Es existieren Cremes, Gels, Zäpfchen, Kapseln und Tabletten für Progesteron und Estradiol. Es ist wichtig, sich vorab zu informieren, was in der individuellen Anwendung die beste Form ist. Am besten wissen die ApothekerInnen Bescheid, da es hier um Galenik geht. Das heißt, bestimmte Wirkstoffe wirken in einer bestimmten Form besser oder schlechter.
Transdermal:
- Über die Haut: Bei der transdermalen Hormontherapie werden die Hormone als Gel oder Creme auf die Haut, z.B. Unterarm, aufgetragen. Die Aufnahme erfolgt über die Transporter in der Haut in den Blutkreislauf.
- Vaginal oder rektal: Hier handelt es sich um Zäpfchen mit dem jeweiligen Hormon. Wenn eine Frau beispielsweise starke Blutungen oder vaginalen Ausfluss hat, ist eine vaginale Darreichungsform nachteilig gegenüber einer rektalen Form.
- Sublingual: Der Wirkstoff wird unter die Zunge gelegt und über die Mundschleimhaut aufgenommen.
- Bukal: Lozange, die in die Backentasche gelegt wird, wo sich der Wirkstoff in die Wangenhaut löst.
Oral:
Aufnahme des Wirkstoffs als Kapsel oder Tablette.
Gibt es eine bevorzugte Darreichungsform?
Es kommt darauf an, was bezweckt werden soll. Die transdermale Anwendung hat den Vorteil, dass sie den First-Pass-Effekt umgeht und damit den Weg über die Leber. Transdermal aufgenommene Hormone sind also leberschonend. Die Wirkstoffe kommen dann meist auch so am Wirkort an, wie sie gebraucht werden. Ein Nachteil der oralen Einnahme kann neben dem Weg über die Leber zudem ein Wirkstoffverlust von teilweise bis zu 90% sein. Progesteron-Kapseln, also oral eingenommen haben jedoch auch sensationelle Erfolge bei Schlafstörungen, wenn sie abends vor dem Schlafen gehen eingenommen werden. Eine Progesteron-Creme kann da nicht mithalten.“Es gibt zum einen eine beste Form für die Symptome, zum anderen muss diese Form auch praktikabel und angenehm sein. Nicht jede Person mag beispielsweise Cremes, weil sie meist langsam einziehen.” Wichtig ist also immer auch, die Compliance in Betracht zu ziehen. Wie kann die Patientin die Einnahme im Alltag umsetzen und was bevorzugt sie? Cremen beispielsweise ziehen nur langsam ein, weshalb viele ein Gel bevorzugen. Die Hormontherapie ist sehr individuell und komplex. “Das schöne ist, dass wir auch darauf eingehen können, weil wir unglaublich viele Möglichkeiten haben”, so die Hormonexpertin.
Myome – Ist bioidente Hormontherapie das Richtige?
In vielen Fällen – nicht immer – hat sich laut der Hormonexpertin der Einsatz von Progesteron bewährt. Oft wächst das Myom ein bisschen und geht dann zurück. Das Anwachsen zu Beginn macht vielen Frauen natürlich Angst. Wichtig ist es, das mit einer Gynäkologin zusammen zu machen, die sich auskennt. Das muss unbedingt über bildgebende Verfahren begleitet werden. Progesteron ist nicht immer die richtige Methode bei Myomen. Es gibt noch andere Wege. “Wir beobachten zum Beispiel auch einen sehr positiven Effekt bei der Anwendung von bestimmten Pflanzenextrakten, die eine hervorragende Studienlage aufweisen”, so Katharina Burkhardt. “Bioidente Hormontherapie ist nicht nur Therapie mit Hormonen.”
Bioidente Hormontherapie besteht nicht nur aus Hormonen
Die Hormonspezialistin betont, dass neben den Hormonen selbst unbedingt auch die wichtigen Kofaktoren und Mikronährstoffe zugeführt werden müssen. Dafür werden auch Pflanzen benötigt, da es sich um einen ganzheitlichen Ansatz handelt. “Es mag extrem klingen, doch machen wir lediglich Symptom-Therapie, wenn wir ausschließlich mit Hormonen behandeln.” Es wird lediglich ein Stoff ersetzt, der nicht da ist und füllt ihn auf. Die Frage danach, warum er nicht da ist, wird jedoch nicht beantwortet.
Kofaktoren, Mikronährstoffe, Pflanzenstoffe
Gründe für den Hormonmangel kann es viele geben. Möglicherweise fehlen Kofaktoren, um die Hormone produzieren zu können. Es kann ein Enzymmangel vorliegen, es kann sein, dass der Körper entgiften möchte, ein unausgewogenes Darm-Mikrobiom zugrunde liegt oder es werden Pflanzenstoffe benötigt, die den Körper wieder in eine allgemeine Balance bringen.
50% Eigenverantwortung & Gesundheitskompetenz
Unsere Erfahrungen seit 20 Jahren: Lifestyle macht eigentlich 50% der ganzen Sache aus. Es geht allen voran um die Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz der Patientin. Wir möchten die Frauen überzeugen und motivieren, diese Grundthemen in ihrem Leben zu übernehmen. Es sollten ein paar Basics klar sein. Fünfmal pro Woche rotes Fleisch, Zucker, Nikotin und Koffein haben bekannterweise schädliche Wirkungen auf die allgemeine Gesundheit, also auch auf die Hormone. Zudem ist ein gesunder Rhythmus wichtig, Bewegung und Sport.
Kraft aus dem zyklischen Leben schöpfen
Die Rhythmik des Zyklus in ihrem Leben zu übernehmen, ist ein wichtiger Bestandteil der Hormontherapie. Es ist nicht jeder Tag gleich. Die Tage um den Eisprung oder während der Blutung bedürfen einer anderen Aufmerksamkeit dem eigenen Körper gegenüber. Viele beobachten, dass sie weniger PMS-Symptome oder Stimmungstiefs empfinden, wenn sie sich der Müdigkeit hingeben, und nicht noch extra Gas geben.
Anpassung an Stress erhöhen & Entzündungen senken
Entzündungshemmung ist in allen Lebenslagen wichtig. Jede Pflanze, die das kann, ist willkommen. Auf der Website des Netzwerks für bioidentische Hormone haben die Expertinnen eine Übersicht im Downloadbereich zusammengestellt, die alle geeigneten Pflanzenstoffe und Nahrungsmittel listet. Wenn also ein leichter Estradiolmangel besteht, kann eingesehen werden, welche Nahrungsmittel die Produktion von Estradiol fördern durch die beinhalteten Phytoöstrogene. So können die Frauen durch bewusste Ernährung bereits einen großen Schritt tun.
Das Wichtigste: Eigenen Rhythmus integrieren & leben
Selbstverständlich helfen viel Schlaf, gute Ernährung und Stressreduktion. Mit am wichtigsten ist laut Katharina Burkhardt der Rhythmus. In der heutigen Gesellschaft haben wir den Rhythmus eingebüßt. Den wieder zu integrieren, ist sehr schwer. Vielen mangelt es hierzu auch am benötigten Wissen. Für Frauen mag es noch etwas einfacher sein, da sie sich an ihrem Zyklus orientieren können, so er denn regelmäßig ist. Wenn er das nicht ist, kann man sich an den Mondrhythmen orientieren. Es gibt Frauen, die zu Vollmond menstruieren, andere wiederum zu Neumond. Es geht darum, zu beobachten, dass nach der Menstruation die fruchtbare Phase kommt. Welche Energien sind damit verbunden, was brauche ich an Ernährung, Energiezufuhr und Bewegung? Es folgt der Höhepunkt mit dem Eisprung, woraus dann entweder eine Schwangerschaft entsteht und das Progesteron weiter ansteigt und es wieder abfällt und der Zyklus mit der Blutung von Neuem beginnt. Auch der Tag-Nacht-Rhythmus ist ernstzunehmen und hormonell gesteuert. Morgens ist die Spitze des Cortisols, abends tritt das Melatonin auf den Plan, damit wir gut schlafen können.
Schichtarbeit, spät schlafen gehen, viel essen, spät essen, mal gar nicht essen – insbesondere die Essgewohnheiten – haben laut der Expertin extreme Auswirkungen auf den Hormonhaushalt. Einen weiteren gutgemeinten Rat gibt sie uns an die Hand. “Wir können natürlich nicht immer Punkt 12 Uhr und 18 Uhr essen oder auch Stress komplett vermeiden. Es geht viel darum, den eigenen Rhythmus zu leben und sich auch immer wieder bewusst rauszunehmen, sich Pausen zu gönnen und zu schauen, was das eigene System wirklich nährt. Innehalten und wahrnehmen, was mir gut tut – darauf kommt es wirklich an! Ob das Yoga ist oder Meditation, ist letztendlich nicht wichtig”, rät sie. “Einfach mal nichts tun.”
Chronobiologie der Hormone
Wie alles in der Natur unterliegen auch Hormone tageszeitlichen Schwankungen sowie auch einem monatlichen Rhythmus. “Daher ist es wichtig, dass wir weder den ganzen Tag Vollgas geben oder auch den ganzen Tag auf dem Sofa liegen. Balance und Rhythmus sind das A und O – wie uns das die Natur lehrt.”Therapien sollten daher Abstand nehmen vom klassischen “Einmal täglich xy einnehmen”. Vielmehr ist es wichtig, einen individuellen Rhythmus zu erkennen und wie es heute im eigenen Körper und in der Psyche aussieht. Es helfen Fragen wie: Scheint heute die Sonne? Bin ich im Urlaub? Habe ich Stress? Habe ich Leistungssport gemacht? Wie sieht meine nächste Woche aus – kann ich da schon präventiv was tun? Das gilt natürlich nicht für Menschen mit akuten Problemen, da ist das natürlich sinnvoll und wichtig.
Integrativ, individuell, ganzheitlich
Selbst wenn Frauen nichts mit Hormonen zu tun haben wollen, können die Expertinnen große Erfolge durch die Gabe von speziellen Mikronährstoffen erzielen. Vitamin D3 spielt natürlich eine große Rolle als Prohormon und eine Messung des Vitamin-D-Spiegels wird immer in die Therapie mit einbezogen. So hat eine Arbeitsgruppe an der Uni Graz herausgefunden, dass Vitamin D3 die Testosteronproduktion anregt. Man muss bei einem Mangel an Testosteron also nicht sofort das Hormon zuführen, möglicherweise reicht erstmal die Messung des Vitamin-D-Spiegels und die Beseitigung eines Mangels durch die Gabe von Vitamin D3.
Für wen ist das Netzwerk für bioidente Hormone gedacht?
Es ist für alle: Laiinnen, ÄrztInnen, TherapeutInnen, Firmen, WissenschaftlerInnen, wer sich auch immer interessiert. Die Informationen auf unserer Website sind für alle zum Gratis-Download. “Wir möchten Wissen vermehren und uns gegenseitig bereichern. Ich habe nichts davon, wenn ich alleine auf meinem Schatz sitze.”
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